Gedicht der Woche: Werte

Kaum den Kinderschuhen entwachsen, begann meine eigene Jagd nach Werten und Anerkennung. Die Werte meiner Eltern hatte ich nie in Frage gestellt. Trotzdem glaubte ich, gegen diese rebellieren zu müssen. Aus Prinzip schon. Und für das Gefühl, die längst bekannten Werte seien eigens neu erschaffen durch mich. Jugendlich aufmüpfig, bisweilen arrogant, hielt ich es für unabdingbar, dass leben koste, was es wolle. Doch teuer erkauft sind nur die Bitterkeit und die Tränen, welche bleiben, wenn alle Windmühlen bekämpft, alle Lanzen gebrochen sind.

Erwachsen und müde von meiner Jagd nach Werten und Anerkennung schlief ich ein. Mit offenen Augen träumte ich mich durch ein Leben, welches nicht meines war. Statt Anerkennung spürte ich Verachtung. Was ich an Werten angehäuft hatte, kam mir sinnlos vor. Alles schmerzte, alles schmeckte bitter, alles machte mich schwer. Ich dachte, die „guten Dinge des Lebens“ seien nicht für mich bestimmt.

Eva Strittmatter

Werte

Die guten Dinge des Lebens
Sind alle kostenlos:
Die Luft, das Wasser, die Liebe.
Wie machen wir das bloß,
Das Leben für zu teuer zu halten,
Wenn die Hauptsachen kostenlos sind?
Das kommt vom zu frühen Erkalten.
Wir genossen nur damals als Kind
Die Luft nach ihrem Werte
Und Wasser als Lebensgewinn,
Und die Liebe, die unbegehrte,
Nahmen wir herzleicht hin.
Nur selten noch atmen wir richtig
Und atmen Zeit mit ein,
Wir leben eilig und wichtig
Und trinken statt Wasser Wein.
Und aus der Liebe machen
Wir eine Pflicht und Last.

Und das Leben kommt dem zu teuer,
Der es zu billig auffaßt.

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Als ich endlich erwachen konnte aus diesem wert-losen Träumen, war das wertvollste längst da: Liebe. Kostenlos. Unerschöpflich vorhanden. Und das Beste: in mir. Dort fand ich auch die Anerkennung, welche ich unerbittlich und viele Jahre gejagt hatte.
Alles lag bereits in mir.

…falsch verstandenes Leben, in der Kindheit zurückgelassen. Nimm es mit. Nimm Dich mit! Du bist wertvoll!

Quelle:

STRITTMATTER, Eva: Werte. In: STRITTMATTER, Eva: Die eine Rose überwältigt alles. Gedichte. Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin, 2.Auflage 1998, S. 105. Copyright: Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1977

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