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Ich fühl mich scheiße. Warum un-happy sein unsere neue Mut-Aufgabe ist.

Auszusprechen, dass es einem nicht gut geht, scheint mir die neue Mut-Aufgabe der heutigen Zeit. Zu sagen, „es geht mir nicht gut“ ist nicht salonfähig.
Es ist verpönt. Es schickt sich nicht. Es geht niemanden etwas an. Schlimmer noch: zuzugeben, dass man sich scheiße fühlt, brüskiert das Gegenüber. Man erntet Misstrauen, einen ungläubigen Blick oder mitleidiges Unverständnis. Sich nicht gut zu fühlen, un-happy zu sein und das zu verbalisieren, wird von den meisten nicht gemocht.
Warum ist das so?

Unbegrenzte Möglichkeiten zur Selbstentfaltung

In einer Gesellschaft, die unbegrenzte Möglichkeiten zur Selbstentfaltung bietet, ist kein Platz für jemanden mit ambivalentem Jubelverhalten. Schließlich ist alles vorhanden, was es zu einem unbeschwerten Dasein braucht. Die Frohlockungen des süßen Lebens sind allgegenwärtig. Seine Triggerwörter Achtsamkeit, Dankbarkeit und Selbstliebe – die Verheißungen des Schlaraffenlandes der Persönlichkeitsoptimierung -wässern dir den Mund wie kunterbuntes Zuckergebäck in der Glücksbäckerei. Du brauchst nur reinbeißen und zack! ist dein Mindset geflutet von happieness und positive vibes.

Pardon, ich traue niemandem, der vierundzwanzigsieben mal dreihundertfünfundsechzig gut drauf ist. Das geht nicht. So viele Miniatur-Zen-Gärten kann keiner beharken, dass es für ein good feeling bis ans Lebensende reicht.

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Gekünsteltes Gebuhle um die schönsten happy vibes

Leider wird nicht nur in der medialen Landschaft das Zurschautragen von guter Laune beharrlich und ausdauernd propagiert. Auch im Familien- und Freundeskreis redet man lieber um den heißen Brei als einmal feste mit dem Löffel reinzuschlagen, dass die miesen Schwingungen nur so spritzen.
Was interessiert mich das Leid der anderen?
Was geht es mich an, wenn einer schlecht drauf ist?

Meiner Meinung nach findet da draußen ein gekünsteltes Gebuhle um die schönsten happy vibes statt. Mein Positivismus, mein Lächeln, mein Wille. Meine gute Laune, meine gute Stimmung, meine gute Ausstrahlung.
Wie? Kannste nicht, haste nicht, biste nicht? Selbst schuld! Du stehst in der Glücksbäckerei, Mensch! Greif doch einfach zu!

Everyone you meet is fighting a battle you know nothing about. Be kind. Always.

Der fabelhafte Robin Williams hat es auf den Punkt gebracht. Jeder Mensch, der uns begegnet, hat sein Päckchen zu tragen. Nicht nur ist dieses Päckchen für uns unsichtbar. Auch berechtigt dieses Päckchen seinen Träger, über sein Befinden selbst zu entscheiden. Und es ist dem Träger selbstverständlich gestattet, zu sagen, wenn es ihm nicht gut geht.

Gesellschaftliche Frohsinn-Norm

Gute Laune und Wohlergehen sind Privilegien, welche jedem Menschen zustehen. Jedoch ist nicht jeder Mensch fähig, diese für sich einzuräumen. Vielleicht fehlen ihm die Ressourcen dafür oder die notwenigen Kompetenzen. Oder einfach jemand, der nicht abgeschreckt ist.

Ich persönlich finde es sympathisch, wenn jemand unter Missachtung der gesellschaftlichen Frohsinn-Norm zugeben kann, dass es ihm schlecht geht. Das macht mein Gegenüber nahbar und glaubwürdig.

Also können wir alle bitte mutig sein und anfangen, auch unseren bad vibes eine (kleine) Plattform und damit ihre Berechtigung zu geben?

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10 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Guten Morgen Katja, und wieder perfekt auf den Punkt gebracht, wir leben in einer Gesellschaft wo wir immer gut drauf sein müssen, nur um andere nicht zu verunsichern oder sich selbst in in Glück nicht gestört fühlen wollen. Wir grenzen uns zu wenig selbst ab und sagen zu selten was wirklich in uns vorgeht nur um andere nicht zu verletzen. Du hast recht Achtsamkeit, Dankbarkeitstagebuch und andere Methoden helfen uns den Fokus auf das Wesentliche zu halten, nur reicht es manchmal nicht. Manchmal müssen wir alles rauslassen und es befreit … alles in sich reinfressen und die miesen Gefühle wegpacken ist der Beste Weg ins eigentliche Verderben. Aber dies in aller Öffentlichkeit auch mal rauslassen braucht Mut, naja zumindest wenn wir es noch steuern und bewusst einsetzen können. Einen unvermittelten Vulkanausbruch zu simulieren, weil zuviel und zu schnell angestaut wurde kann auch ins Auge gehen.

    Danke, dass du es auch mal an- und ausgesprochen hast. Das Leben ist halt kein Ponyhof. ;o)
    Habe einen schönen Start in den Tag.

    Antworten
    • Katja Zielinski
      3. Februar 2021 18:16

      Lieber André,
      kein Ponyhof, aber ein schöner Ort mit Ecken und Kanten, Hochs und Tiefs, Licht und Schatten.
      Ich danke Dir sehr fürs Lesen und Deinen ausführlichen Kommentar.
      Auf bald!
      Katja

      Antworten
  • Sehr gut geschrieben Katja. Das Leben ist halt nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Und bei manchen geht mir der Reichtum an guter Laune gehörig auf den Sack.
    Liebe Grüße
    Ela

    Antworten
    • Katja Zielinski
      3. Februar 2021 18:14

      Liebe Ela,
      so geht es mir ebenfalls. Deshalb musste ich das mal rauslassen.
      Danke fürs Lesen und Kommentieren.
      Alles Liebe,
      Katja

      Antworten
  • Liebste Frau Z! Super geschrieben und auf den Punkt gebracht ! Auch ich , die Meisterin hab schlechte Momente … die ich allerdings zunächst wahrnehme, fühle , heule , schreie , stampfe…mich dann frage , was würde mich jetzt aus meinem Sumpf ziehen…. und dann Krönchen richten und weiter geht’s . Ich war schon mal zu lange im Sumpf … deswegen versuche ich jetzt immer fix da rauszukommen… danke für deine unglaublichen Textspuren immer wieder ! Herzensgrüsse von Beachlotta

    Antworten
    • Katja Zielinski
      4. Februar 2021 16:07

      Liebste Bea,
      vielen Dank für Deine Rückmeldung zu meinem Text.
      Offenbar verfügst Du über die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen, für Dich selbst und Dein persönlichen Wohlergehen zu sorgen. Das ist schön. Und möge Dir erhalten bleiben. Sich selbst am Schopf zu packen und rauszuziehen aus der Misere ist eine wertvolle Eigenschaft.
      Herzensgrüße zurück!
      Deine Katja

      Antworten
  • Du hast sooooo recht, liebe Katja …. Mich bewegt noch dies noch zu dem Gedanken an „Bad Vibes“:

    Man wird in unserer erfolgsorientierten Gesellschaft oft als kontraproduktiv abgestempelt, wenn man Dinge kritischer oder auch mal pessimistisch sieht, anstatt immer eine „es klappt alles so super “ Stimmung zu verbreiten. Das könnte ja schnell in Meckern ausarten und zu Demotivation der Anderen auf ihrem Weg zur Selbstverwirklichung führen.
    Für mich macht es perspektivisch keinen Sinn, wenn immer alle „unehrlich“ optimistisch tun und dabei sich selbst und den Sinn fürs Wesentliche verlieren.
    Ich persönlich bezeichne mich eher als Realist, der manchmal optimistischer sein könnte….Auf jeden Fall sollten wir uns selbst treu bleiben und wie du schreibst, für uns selbst ruhig mutiger werden, auch mal schlecht drauf zu sein, auch wenn es fürs Gegenüber unbequem sein könnte.

    Liebe Grüße von Doreen.

    Antworten
    • Katja Zielinski
      5. Februar 2021 19:47

      Liebe Doreen,
      das habe ich nun schon mehrfach gelesen/ gehört- daß man sich mit dem Aussprechen des eigenen schlechten Befindens zurückhält, um andere nicht zu stören oder zu nerven. Da läuft doch etwas schief.
      Darum: nur Mut zur schlechten Laune!
      Alles Liebe,
      Katja

      Antworten
  • Hey. Danke für den Klartext. Du sprichst mir aus der Seele! Mir geht das ganze „Es-gibt-für-alles-ein-Rezept-du-musst-es-nur-wollen“ auch ganz schön auf den Zeiger. Wir ticken nun einmal nicht immerzu gleich. Und mit sich selbst im Reinen zu sein heißt für mich alle Facetten des Lebens annehmen und leben (lernen) und nicht nur die schönen, tollen und instagramfähigen „Hochs“. Authentisch zu sein ist die größte Stärke, die wir haben und die nicht angreifbar ist. 🙂

    Antworten
    • Katja Zielinski
      24. Februar 2021 12:30

      Liebe Eva,
      danke für deinen Zuspruch.
      Mir gefällt der Gedanke, daß uns unsere individuelle Authentizität auch schützt.
      Herzliche Grüße!
      Katja

      Antworten

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