Das heutige Gedicht der Woche, „Sachliche Romanze“, hat mich gefunden.
Manchmal kommen die Dinge zu mir und ich kann mich nur wundern, woher sie den rechten Zeitpunkt wissen.
Erich Kästner
Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut)
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Quelle:
KÄSTNER, Erich: Sachliche Romanze. In: LEIß, Ingo und STADLER, Hermann: Deutsche Literaturgeschichte. Band 9. Weimarer Republik 1918-1933. Deutscher Taschenbuch Verlag München 2003, Original-Ausgabe, S. 376-378