Eva Strittmatter
Balance
Arbeit ist das, was ich am wenigstens liebe.
Und dennoch arbeite ich nicht schlecht.
So von Widersprüchen ist alles durchzogen.
Würde mein Leben geradegebogen,
Ich glaube, daß kaum etwas bliebe,
Was eindeutig wäre und lotgerecht.
Ich bin nicht anders als alle die meisten.
Die Unschuld verlor ich im Paradies.
Ich unterliege den Lebenszwängen,
Die mich wie alle alltäglich bedrängen:
Ich will essen und muß dafür gegenleisten
Im Schweiße – wie es Gottvater verhieß.
Ich bin aber damit nicht einverstanden,
Daß es schwer sein soll. Ich will es leicht.
Darum übe ich mich, die Schwerkraft zu zwingen,
Übers Seil zu laufen und dabei zu singen,
Um endlich auf einer Wolke zu landen.
Bisher hab ich kaum die Balance erreicht.
Quelle:
STRITTMATTER, Eva: Die eine Rose überwältigt alles. Gedichte. Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin, 2.Auflage 1998, S. 19. Copyright: Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1977