Mein schönstes Flow-Erlebnis liegt bereits achtzehn Jahre zurück. Ich liebe die Erinnerung daran. Denn dieses eine bestimmte Flow-Erlebnis hat sich tief in mein Gehirn eingebrannt. Immer wenn ich es gedanklich rekapituliere, spüre ich, wie meine Augen strahlen und meine Wangen glühen.
Dieses Flow-Erlebnis ist deshalb mein schönstes, weil es mich den beruflichen Weg hat einschlagen lassen, welchen ich noch heute mit Leidenschaft gehe.
Etwas fehlt
Wir schreiben das Jahr 2001. Ich bin 23 Jahre alt und Studentin an der Universität Leipzig.
Den kleinsten Teil meiner Zeit verbringe ich lustlos in den Fakultäten der Erziehungswissenschaft und der Theaterwissenschaft. In den Seminaren und Vorlesungen dort fühle ich mich fehl am Platz. Weder meine Dozenten noch meine Kommilitonen, geschweige denn die Studieninhalte können mich begeistern. Ich spüre, das ist nicht das Richtige für mich. Etwas fehlt. Was genau, kann ich nicht sagen.
Den größten Teil meiner Zeit verbringe ich mit Tanz.
Ein nach meinem Abitur absolviertes Jahrespraktikum in der Dramaturgie der OPER Leipzig ermöglicht mir den nahezu uneingeschränkten Zugang ins Haus. Fast täglich ist es mir erlaubt, der Ballett-Compagnie bei ihren Trainings zuzuschauen. Klar, dass ich mir diese Möglichkeit nicht entgehen lasse. Und auch so gut wie keine Ballett-Aufführung verpasse.
Ich bin über alle Maßen fasziniert von den Hochleistungen, welche die TänzerInnen bei jeder Probe, jedem Training und jeder Aufführung voller Leidenschaft und Engagement abliefern. Das spornt mich selbst an.
Das Tanzen – meine Sprache
Ich tanze seit meinem zwölften Lebensjahr. Davor sammelte ich sechs Jahre lang fleißig Medaillen als Geräte-Turnerin. Doch das Tanzen, das Bewegen zur Musik wurde meine persönliche Leidenschaft. Im Tanz fand ich meine Sprache für meine inneren Zustände.
Da mir die zweimal wöchentlich stattfindendenden 90minütigen Tanztrainings in meinem Tanzstudio nicht genug sind, übe ich zu Hause Ballett.
Außerdem nehme ich an zahlreichen Tanz-Workshops teil. Vor allem Jazz Dance hat es mir angetan.
Zu meiner großen Freude absolviert eine Tanzpädagogik-Studentin der Palucca Schule ihr zweijähriges Praktikum in meiner Tanzgruppe. Feuer und Flamme wie ich bin, für sie und den Jazz Dance, sauge ich gierig alles mit meinem Kopf und meinem Körper auf, was sie uns beibringt.
„Du musst meinen Jazz Dance-Kurs übernehmen!“
Eines Tages kommt eine Freundin aus meiner Tanzgruppe auf mich zu und sagt geradeheraus zu mir: „Katja, ich bin schwanger. Du musst meinen Jazz Dance-Kurs beim Uni-Sport übernehmen!“
Wie bitte? Was? Das kann ich nicht! Ich kann mich unmöglich vor eine Gruppe Menschen stellen und denen das Tanzen beibringen.
„Klar, Du kannst das!“, sagt sie. Und irgendwie habe ich den Kurs nun an der Backe.
Zwei Wochen bereite ich mich akribisch auf meinen allerersten Einsatz als Jazz-Dance-Trainerin vor. Ich überlege mir verschiedene Bewegungsfolgen und suche die passenden Musiken dazu aus. Mehrmals täglich übe ich das taktgenaue Zählen der Etüden. Sogar eine kleine Choreographie zaubere ich zusammen.
Unsere Palucca-Studentin, mit der ich natürlich meine Vorbereitungen durchgehe, gibt mir grünes Licht: „Du machst das, Katja!“.
Flow – nichts fehlt
Tag X.
Mein Herz rutscht mir beinahe in die Hose. In meinem Bauch schlägt das Adrenalin munter Purzelbäume. Meine Beinmuskeln haben sich in eine marshmallow-artige Masse verwandelt.
Durchatmen.
Türklinke runterdrücken. Den Tanzsaal betreten.
Die TeilnehmerInnen begrüßen.
Meine Notizen vorn vor dem Spiegel ablegen.
Die Musikanlage testen.
Unsicher und mit zitterndem Körper stehe ich vor der großen Spiegelwand. Ich blicke auf. Und schaue in zwanzig fröhliche Gesichter. Zwanzig Augenpaare sind gespannt auf mich gerichtet.
Es kann losgehen. Ich straffe mich und zeige die erste Übung vor. Kein Fehler. Nicht verzählt. Wir tanzen noch einmal alles trocken, also ohne Musik, durch. Dann: Musik an. Ich tanze los. Und meine zwanzig Teilnehmer hinter mir tanzen mit.
Da passiert es.
Etwas in meinem Gehirn geht aus. Gleichzeitig geht woanders in mir etwas an. Ein warmes Licht durchströmt mich. Ich fühle mich leer. Und gleichzeitig voll überbordender Energie.
Keine Angst. Keine negativen Gedanken. Überhaupt: kein Denken. Mein Kopf ist ausgeschaltet.
Ich fliege durch die nächsten 90 Minuten. Alles geht leicht. Durch und durch strömt ein unfassbares Glücksgefühl durch sämtliche meiner Blutbahnen. Ich spüre eine ungehemmte Freude in mir. Und es gelingt mir scheinbar mühelos, meine TeilnehmerInnen mit diesem unglaublichen Spaß anzustecken.
Förmlich im Abheben kommt mir der Gedanke: Ich bin in meinem Element. Ich bin da, wo ich sein soll.
Nichts fehlt.
Für den Rest meines Lebens
Noch Stunden nach diesem genialen Flow-Erlebnis war ich vollkommen geflasht. Dieser Moment der eindeutigen Präsenz von Glückseligkeit offenbarte mir, was ich wirklich tun wollte für den Rest meines Lebens.
Mit der aus meinem Flow-Erlebnis gewonnenen Stärke und Zuversicht bewarb ich mich kurz darauf an der Palucca Hochschule für Tanz für den Studiengang Tanzpädagogik. Nach erfolgreich absolvierten Eignungstests und Aufnahmeprüfungen wurde ich angenommen.
Seitdem ist mein Leben als Tanzpädagogin im Flow.
Jetzt Du! Was ist Dein schönstes Flow-Erlebnis?
Herzlich,
Deine frau zett
(Dieser Artikel ist eine überarbeitete Version meines Artikels „Mein schönstes Flow-Erlebnis“ aus dem Jahr 2017. Dieser war mein Beitrag zur Blogparade von Martin Feigenwinter zum gleichnamigen Thema.)