Weihnachten ist immer auch kompliziert irgendwie. Große Kriege, kleine Kriege. Schlachten. Streitereien. Um alles: die Geschenke, die Zugehörigkeit, die Weltanschauungen, die Gefühle, den Respekt… Weihnachten versöhnt uns nicht. Es macht uns nicht liebevoller miteinander.
Weihnachten löst allzu oft ein klebriges Zuckerwatte-Gefühl in mir aus. Weil so vehement auf die Versöhnung, die Liebe, den Glauben gepocht wird. Bitte auf Knopfdruck reproduzieren. Für 24 Tage. Danach darf der Erretter-Modus wieder verlassen werden.
Wir Menschen bleiben scheinheilig. Und blind.
Günter Kunert
Weihnacht
In allen Häusern ist schon Licht.
Hingegen in den Hauptessachen: Dunkelheit.
Unhörbar, was die Nacht verspricht
an kurzer Freude und an langem Leid.
Was hier als Zeichen in der Wiege ruht,
Jahrhundert um Jahrhundert fromm verehrt:
Ein bißchen Fleisch und Bein und Blut
ist allemal auch uns beschert.
Doch alles Feiern gilt dem einen Kind,
das später einmal unter Foltern stirbt.
Trotz allem Licht: Wir bleiben blind:
auf daß uns nichts den Appetit verdirbt.
Quelle:
Es begibt sich aber zu der Zeit. Texte zur Weihnachtsgeschichte. Herausgegeben von Walter Jens, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, November 1993, S. 247