BlogMas: 9. Dezember. Gedicht der Woche: Weihnacht

Weihnachten ist immer auch kompliziert irgendwie. Große Kriege, kleine Kriege. Schlachten. Streitereien. Um alles: die Geschenke, die Zugehörigkeit, die Weltanschauungen, die Gefühle, den Respekt… Weihnachten versöhnt uns nicht. Es macht uns nicht liebevoller miteinander.

Weihnachten löst allzu oft ein klebriges Zuckerwatte-Gefühl in mir aus. Weil so vehement auf die Versöhnung, die Liebe, den Glauben gepocht wird. Bitte auf Knopfdruck reproduzieren. Für 24 Tage. Danach darf der Erretter-Modus wieder verlassen werden.

Wir Menschen bleiben scheinheilig. Und blind.

Günter Kunert
Weihnacht

In allen Häusern ist schon Licht.
Hingegen in den Hauptessachen: Dunkelheit.
Unhörbar, was die Nacht verspricht
an kurzer Freude und an langem Leid.

Was hier als Zeichen in der Wiege ruht,
Jahrhundert um Jahrhundert fromm verehrt:
Ein bißchen Fleisch und Bein und Blut
ist allemal auch uns beschert.

Doch alles Feiern gilt dem einen Kind,
das später einmal unter Foltern stirbt.
Trotz allem Licht: Wir bleiben blind:
auf daß uns nichts den Appetit verdirbt.

 

Quelle:

Es begibt sich aber zu der Zeit. Texte zur Weihnachtsgeschichte. Herausgegeben von Walter Jens, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, November 1993, S. 247

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